Herzlich willkommen in Newfoundland, dem Paralleluniversum, zu dem auch eine eigene Zeitzone gehoert. Schaut man den Fernsehsender CBC, so heisst es beispielsweise: “Tune in for The Beachcombers, 7:00, 6:30 in Newfoundland.” Das muss man einfach moegen. Genauso wie die Einwohner Newfoundlands, liebevoll “Newfies” genannt. Die Newfies sind unglaublich freundlich, wenn auch mitunter in manchen Gegenden mit ihrem merkwuerdigen Dialekt etwas schwer zu verstehen.
In Port aux Basques der Faehre entstiegen, fuehrte mein Weg an der Westkueste Newfoundlands nach Norden und zum Gros Morne National Park. Aufgrund der nicht sehr heiteren Wettervorhersage entschied ich mich jedoch, diesen vorerst zu uebergehen und hoffte auf besseres Wetter auf dem Rueckweg. Ich setze meine Reise gen Norden fort, St. Anthony als Ziel vor Augen. Als ich an einem Wegweiser zur Faehre nach Labrador vorbeifahre, entscheide ich spontan, einen kleinen Abstecher dorthin zu machen. Und so finde ich mich auf der naechsten Faehre wieder.
Als Labrador in Sicht kommt, fallen mir zuerst die weissen Flecken in der Landschaft auf. Mitte Juni gibt es hier noch immer winterliche Ueberreste.
Die Faehre legt in Quebec an (dabei hatte ich geglaubt, diese Provinz bereits lange hinter mir gelassen zu haben), doch bereits der Nachbarort befindet sich in Labrador. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Strasse im quebecischen Teil bereits 2 Orte weiter endet. Schluss, aus.
Mein kurzer Ausflug nach Labrador fuehrte mich etwa 80 km an der Suedwestkueste bis nach Red Bay. Die Infrastruktur in Labrador ist nicht sehr umfangreich und nur ein Bruchteil der Provinz ist ueber Strassen erreichbar.
Die Landschaft ist, hm, wild. Wild und karg. Obwohl ich ja durchaus zu Extremen neige, muss ich sagen, das ist selbst mir zu heftig. Ich uebernachtete mal wieder in meinem fahrbaren Untersatz, der mit einem schoenen Blick auf Red Bay geparkt war.
Am naechsten Morgen regnete es in Stroemen. Kein sehr reizvolles Wetter fuer irgendwelche Unternehmungen. Die Faehre brachte mich wieder zurueck zum “Rock” (Spitzname Newfoundlands) und ich setzte meinen Weg nach Norden fort. St. Anthony lockte mit einem unvergesslichen Erlebnis: dem Anblick schillernder Eisberge! Und tatsaechlich, kurz bevor ich St. Anthony erreichte, sah ich in der Ferne einen Eisberg in der Bucht schwimmen. Einfach so. Wow, ich konnte nur staunen! Echte Eisberge! Nicht so gross, wie man sie aus den Titanic-Filmen kennt, aber nicht weniger eindrucksvoll!
Eindrucksvoll war auch das Wetter. Regen und der Wind stuermte mit etwa 60km/h. Dies hielt mich jedoch nicht davon ab, eine weitere Nacht im Auto zu verbringen. Diesmal suchte ich mir jedoch einen Campingplatz mit Dusche und Internet. Was soll ich sagen? Eine warme Dusche bei 2 Grad C in einem unbeheizten Holzverschlag ist unschlagbar. Frisch gewaschen machte ich mich auf dem Weg in die naechste Kneipe zur “Newfie Night”. Die oertliche Band spielte traditionelle Newfie-Musik und zum ersten Mal in meinem Leben sah ich einen “Ugly Stick”. Hierbei handelt es sich, passend zur Musik, um ein traditionelles newfoundlandisches Musikinstrument. Ein Stock, an dessen unterem Ende sich Schellen oder aehnliche Krachmacher befinden, und der im Takt auf den Boden gestossen wird und zudem mit einem Drumstick beschlagen wird. Tja, so ersetzt man auf einfache Weise ein aufwendiges Schlagzeug.
Der Spass endete schlagartig, als man zur “Screech In” Zeremonie kam. Eine weitere newfoundlandische Tradition, bei der Neulinge in die Provinz eingegliedert werden. Hierzu muss der Neuling typische Kleidung der Provinz tragen, die selbstverstaendlich aus Oelkleidung der Fischer besteht. Anschliessend muss man wie ein Newfoundlander essen (Salt fish, Balogna und Hard Bread), einen Cod Fisch (ja einen echten, toten Fisch) auf die Lippen kuessen, den traditionellen Screech Rum trinken und dazu sein Verslein aufsagen (natuerlich in Newfie Dialekt): "thru the teeth and over the gums, look out stomache, here she comes”. Danach muss man noch einen Newfie Tanz auffuehren und dann, endlich, bekommt man schliesslich seine Teilnahme an dieser merkwuerdigen Zeremonie bestaetigt.
Der folgende Morgen war etwas weniger windig und regnerisch, doch nicht weniger kalt. Ungern krabbelte ich aus meinem warmen Schlafsack. Anschliessend machte ich mich zu einer Eisberg-Bootstour auf und bekam weitere Eisberge zu sehen. Nun war mir doch schon wirklich kalt. Ich war nicht darauf gefasst, meine Winterkleidung nochmal zu benoetigen. Kaum zurueck an Land machte ich mich auf den Weg Richtung Sueden.
Wieder im Gros Morne National Park quartierte ich mich in idyllischen Rocky Harbour ein. Und diesmal passte das Wetter. Zusammen mit 2 Jungs aus dem Hostel bildete ich eine Zweckgemeinschaft und gemeinsam brachen wir zu einem sonnigen und schoenen Tag des Wanderns auf. Dem folgten zwei weiterere wunderschoene Tage, die ich ebenfalls mit Wandern verbrachte. Bei einer dieser Wanderungen begegnete ich einem Elch. Ein eindrucksvolles Erlebnis, einem solch imposanten und maechtigen Tier ohne die Sicherheit im Inneren eines Autos gegenueberzustehen! So laesst es sich leben!
Schweren Herzens liess ich nach 3 Tagen den liebgewonnenen Gros Morne National Park mit einigen unerkundeten Wanderwegen zurueck. Ich fuhr nach Twillingate und fand den perfekten Uebernachtungsplatz fuer mein Auto. Geparkt direkt an der abfallenden Felskueste hatte ich einen wunderbaren Blick auf’s Meer und sah den Sonnenuntergang. Am Morgen wurde ich von der aufgehenden Sonne geweckt. Das Leben ist schoen!
Weiter ging es nach Bonavista. An diesem Abend fand das Stanley Cup Endspiel zwischen Vancouver und Boston statt. Wie ich feststellte, war ich hier in feindlichem Gebiet. Bereits beim Bierkauf hatte ich eine freundliche Diskussion mit der Verkaeuferin darueber, welches Team angefeuert werden sollte. Ich wurde darueber aufgeklaert, dass einer der Spieler im Bostoner Team aus Bonavista stammte und deshalb der ganze Ort in schwarz-gelb dekoriert war. Treu hielt ich zu den Canucks, selbst als die Auto-Kolonne mit Bruins-Flaggen und vom Feuerwehrauto angefuehrt, huppend vorbeifuhr. Und dann der Hammer: die Canucks verloren! Grrrrr
Die Enttaeuschung noch nicht ganz ueberwunden besuchte ich den Nachbarort Elliston, Root Cellar Capital of the World. Dort ist neben den wie Hobbit-Haeusern anmutenden Kellern auch Puffin Island zu finden. Die kleine Felsinsel ist von tausenden Papageientauchern besiedelt. Aufgrund des starken Windes war es nicht ganz einfach, ein brauchbares Foto zu machen.
Von Elliston fuehrte meine Reise weiter nach St. John’s, der aeltesten und oestlichsten Stadt Nordamerikas.
Mit der Ankunft in St. John’s sank meine Stimmung auf einen Tiefpunkt. Kennt ihr das, wenn ihr irgendwohin kommt und es klickt sofort? Sprich, ihr fuehlt euch sofort wohl und es gefaellt euch? Tja, leider hatte ich dieses Gefuehl bei St. John’s so ueberhaupt gar nicht. Und das war gar nicht gut, war der urspruengliche Plan doch, mich hier fuer einige Zeit haeuslich niederzulassen.
Das Wetter trug sicherlich einen Grossteil zu meiner Stimmung bei. Es regnete, war windig und kalt. Von Sommer und Waerme keine Spur. Wie mir bis dahin nicht bekannt oder bewusst war, ist St. John’s die nebligste und windigste Stadt Kanadas. Na prima!
Nach 2 Jahren in Whitehorse sehnte ich mich zudem nach der Naehe zu einer etwas groesseren Stadt. Obwohl St. John’s ca. 4x soviele Einwohner hat wie Whitehorse, ist es doch nicht viel staedtischer.
Nach 7 Wochen on the road hatte ich einen Haarschnitt dringend noetig. Und so beschloss ich, erstmal einen Friseur aufzusuchen. Mit Hilfe des Internets fand ich einen vielversprechenden Laden. Dort angekommen, sah ich durch’s Schaufenster zwei wohlbeleibte Damen und einen Herren ziemlich gelangweilt rumsitzen. Kunden gab es keine. Das sah nicht sehr vertrauenswuerdig aus. Andererseits regnete es in Stroemen und ich war zu Fuss unterwegs. Zum Teufel, wenigstens war es trocken und ich wuerde nicht warten muessen. Todesmutig betrat ich den Laden und wurde freudig begruesst. Kurze Zeit spaeter ueberlegte ich ernsthaft, ob Nicholas jemals zuvor Haare geschnitten hatte. Kurz meine Optionen abwaegend, entschied ich mich fuer die Variante “Augen zu und durch”. Ich bin nicht sicher, wie er es hinbekommen hat, aber es sah gar nicht schlecht aus. Wie sich im Laufe des Prozesses herausstellte, war eine der anwesenden Damen die Besitzerin des Salons und gleichzeitig auch Besitzerin des groessten Tattoo-Studios in der Stadt, welches mir waermstens empfohlen wurde. Sooo sehr vertraue ich meinem Glueck dann doch nicht!
Anschliessend fand erstmal ein freudiges Wiedersehen mit Mike, Justine und den Hunden statt. Luna fuehrte sogar einen kleinen Freudentanz fuer mich auf.
Am Abend trafen wir uns mit einigen von Mikes Freunden, die allesamt aus Labrador City stammten. Zu spaeterer Stunde beschlossen wir, auf der George Street weiterzufeiern. Hier reihen sich zwei Blocks lang ausschliesslich Pubs und Bars aneinander. Im Fat Cat trafen wir auf Janet und Kelly-Ann, derzeit Newfoundlands beste und bekannteste Saengerinnen. Die Freundlichkeit und Offenheit der Newfies erstaunte mich einmal mehr. Ohne langes Warten oder Gedoehns stellen sich die Leute vor und man wird unverzueglich in das Geschehen involviert. Das Eingliedern faellt hier nicht schwer.
Ich weiss nicht warum, aber Mike fuehlte sich am naechsten Morgen gar nicht fit und sah auch nicht so aus *lach* Wir fuhren Justine zur Arbeit und erhielten von ihr eine ganz persoenliche Fuehrung am Cape Spear. Dies ist der oestlichste Punkt Nordamerikas und es ist etwas merkwuerdig, sich vorzustellen, dass ich hier naeher zu Europa als zu Vancouver war.
Den Rest des Tages verbrachten Mike und ich damit, die uns aufgetragenen Taetigkeiten abzuarbeiten. Und dann ging es auch schon weiter zum Roller Derby, wo Justine und ihr Team sich einen harten Kampf mit einer anderen Mannschaft lieferten. Ich wusste nicht mal, dass es die guten altmodischen Rollschuhe noch gibt. Anschliessend ging es zurueck zur George Street zur Aftershow Party. Ein weiterer Abend des Vergnuegens und Feierns mit Newfies und Labradorians. Party on!
Am naechsten Tag fuhren wir mit einem Netz bewaffnet zum Strand, um damit Caplin, aufzusammeln. Diese kleinen Fische signalisieren die Ankunft von Walen und Sommer. Nun ja, offenbar waren die Caplins noch nicht da…
Der folgende Tag brachte ein weiteres freudiges Wiedersehen. Diesmal mit Rabanus, mit dem zusammen ich seinerzeit auf Muktuk gearbeitet hatte, und der nun in St. John’s studierte. Einen ganzen Nachmittag bis in den Abend hinein brachten wir uns auf den jeweils gegenseitigen aktuellen Stand.
Gemeinsam machten wir am darauffolgenden Tag einen Ausflug, der Irish Loop im Suedosten Newfoundlands folgend. War das Wetter zuerst noch neblig, so dass Rabanus mich nicht wirklich von der Schoenheit der nicht sichtbaren Landschaft ueberzeugen konnte, klarte es spaeter auf. Schon in Brigus South konnten wir die Schoenheit wuerdigen. Und in Ferryland weihte ich Rabanus in einen Geheimtip ein: das Lighthouse Picnic. In einem alten Leuchtturm gibt man seine Bestellung auf und erhaelt eine Picknick-Decke sowie ein kleines Faehnchen. Mit dem Faehnchen markiert man seinen ausgewaehlten Platz auf der grasbewachsenen Landzunge und breitet seine Decke aus. Das Essen wird stilgerecht in einem Picknick-Korb geliefert und beim Geniessen kann man Wale blasen sehen. Besser geht’s kaum!
Zurueck in der Realitaet fand ich mich ohne Ziel und Plan und hatte keine Ahnung, wie und wo es nun weitergehen sollte…